Sven Giegold: Mehr Europa wagen! 10/09/2017 Landtagskandidatin Doris Gerken und Sven Giegold, MdEP Grünen-Europaparlamentarier wirbt für mutige Europapolitik Der Grüne Europaparlamentarier Sven Giegold war am 8.9. zu Gast in Verden und warb eindringlich für die Weiterentwicklung der EU. Dabei berichtete er auch über seine persönlichen Erfahrungen im Europa-Parlament und warnte vor einer deutschen Finanz- und Europapolitik, die zu Verwerfungen in anderen Ländern führe. Giegold, der dem EU-Parlament seit 2009 angehört, begann seinen Vortrag mit einigen persönlichen Eindrücken seiner Arbeit in Brüssel und Straßburg: „Ich hatte mich schon immer als Europäer gefühlt, aber über die letzten Jahre ist mir die Bedeutung und auch die Instabilität der Europäischen Einigung immer deutlicher geworden,“ so Giegold. Einerseits sei er überrascht gewesen, wie gut in Brüsssel über Grenzen hinweg Politik gestaltbar sei und verwies auf eigene Erfolge: „Vieles, was ich in der Finanzpolitik erreichen wollte, steht heute in europäischen Gesetzen,“ so Giegold. Andrerseits sei in den letzten Jahren aber das Vertrauen vieler Bürger*innen in das Europäische Projekt verspielt worden, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Als Beispiel nannte Giegold die Bedingungen, „die Griechenland in der Euro-Krise mit der Brechstange diktiert wurden und die dort den Schwächsten geschadet haben, ohne die für die Krise Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.“ Dabei werde im europäischen Ausland die Rolle Deutschlands und der amtierenden Bundesregierung mit großem Argwohn gesehen. Deutschland habe von der Euro-Krise massiv profitiert: die Arbeitslosigkeit sei gesunken, während sie in anderen Ländern gestiegen sei. „Das bewegt in Europa viele Menschen,“ so Giegold. Es habe sich ein Gefühl zusammen gebraut, dass über zu viele Dinge an anderen Orten entschieden werde. Dies sei ein Grund für den Erfolg nationalistisch-populistischer Parteien gewesen. Die britische Volksabstimmung über den Brexit sei der Höhepunkt dieser Entwicklung gewesen, zugleich aber auch eine Art Weckruf: Seitdem drehe sich aber die Stimmung. So sei die Zustimmung zum Euro so hoch wie noch nie. Die Präsidentschaftswahl in Österreich, die Erfolge der niederländischen Grünen mit einer klar pro-europäischen Haltung gegen den Rechtspopulisten Wilders und der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Frankreich seien eine Trendwende. Giegold warb dafür, selbstverständlicher „ja“ zu Europa zu sagen. Die europaweite „Pulse of Europe“-Bewegung habe deutlich gemacht, dass vielen Menschen die Europäische Union wichtig sei. „Insbesondere junge Menschen haben persönlich positive Erfahrungen mit der EU gemacht,“ so Giegold. Als Beispiel nannte er „eine Million Erasmus-Babies“, die aus grenzüberschreitenden Partnerschaften im Rahmen europäischer Austauschprogramme hervorgegangen seien. Giegold unterstrich, dass ein „Ja“ zur EU nicht automatisch bedeute, mit dem Status Quo zufrieden zu sein, sondern zugleich ein „ja“ für Veränderung und weitere Demokratisierung sein müsse. Europa könne aber nur dann weiterentwickelt werden, wenn alle davon profitieren. Dazu gehöre, gemeinsam die Kontrolle zu gewinnen – ein einzelnes Land könne nicht den Klimawandel bekämpfen, Großkonzerne zu Steuerzahlungen zwingen oder Kriege rings um Europa verhindern. „Das geht nur mit Europa,“ so Giegold. Der Wirtschaftswissenschaftler warnte vor einer Rhetorik, wie sie im Bundestagswahlkampf unter anderem von der FDP zu hören sei: „Griechenland raus aus dem Euro und keine Transfer-Union kommt in deutschen Bierzelten vielleicht gut an,“ so Giegold. Im europäischen Ausland werde dies aber ganz genau registriert: „Es entsteht der Eindruck: die Deutschen wollen wieder bestimmen.“ Deutschland gleiche seinen Staatshaushalt aus und erteile hinterher anderen Lektionen, wie sie ihren Haushalt hart sanieren sollten, ohne aber selbst Reformen umzusetzen. „Diese Art von Doppelmoral kommt ganz schlecht an,“ warnt Giegold und verwies auf die wachsenden Ressentiments gegenüber Deutschland nicht nur in Südeuropa, sondern auch in Frankreich. Für mehr Solidarität in Europa wäre es aber auch der falsche Weg, wenn Deutschland Überschüsse einfach an andere Länder verschenken würde. Giegold warb stattdessen für gemeinsame Investition in die Zukunft. Als Beispiele für solche Gemeinschaftsprojekte nannte Giegold ein Austauschprogramm für junge Menschen, schnelles Internet auch in abgehängten, ärmeren Regionen, ein europäisches Eisenbahnnetz und eine Europäische Energiewende mit einem gemeinsamen Stromnetz. Diese Projekte könnten solidarisch finanziert werden und alle würden davon profitieren. Zur Finanzierung könnte ein Ende des Steuerwettbewerbs und damit der Steuerflucht von Unternehmen beitragen. Es könne nicht sein, dass ein Verdener Buchhändler pflichtgemäß seine Steuern zahle, Konzerne wie Amazon aber überhaupt keine. Dadurch entgingen den europäischen Staatshaushalten jährlich 1.000 Milliarden an Steuereinnahmen. „Das ist das Dreifache des Bundeshaushalts. Mit einem Bruchteil davon könnten wir europäische Zukunftsinvestitionen finanzieren,“ so Giegold. Dafür brauche es eine europöische Steuerkooperation. Es müsse aber nicht alles europäisch geregelt werden: „Das, was vor Ort geregelt werden kann, sollte vor Ort geregelt werden,“ betonte Giegold. Der Europaparlamentarier machte abschließend auf den Einfluss von Lobbyisten auf politische Entscheidungen aufmerksam – hier müsse nicht nur auf EU-Ebene sondern auch in Deutschland mehr Transparenz geschaffen und die Einflussnahme effektiv begrenzt werden. Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortete Giegold eine Vielzahl von Fragen der insgesamt 60 interessierten Zuhörenden – von Flüchtlingspolitik, über TTIP, Europkrise bis hin zur Stimmung in anderen Ländern wie in Frankreich oder Großbritannien. Grünen-Landtagskandidatin Doris Gerken überreichte dem Gast zum Dank ein Glas regionalen Honig. Das Präsent hatte für die Verdener Grünen einen freudigen Hintergrund, denn Giegold ist mit seiner Familie zurück in den Landkreis Verden gezogen. Hier hatte vor seiner Zeit im Europa-Parlament bereits lange Jahre gewohnt und unter anderem das Verdener Ökozentrum mitaufgebaut und das globalisierungskritische Netzwerk Attac mitbegründet. Politisch bleibt er aber dem Grünen-Landesverband Nordrhein-Westfalen verbunden, wo der auch dem Landesvorstand angehört. Die Veranstaltung wurde live bei Facebook gestreamt und kann als Video unter https://www.facebook.com/GrueneVerden/videos/2053007474920231/ angeschaut werden.
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